Mittwoch, 31. Oktober 2012

Morgen

Dem Tag Versprechungen gemacht
den Weg dann doch vor die Menge geworfen
keinen eigenen Fuß gesetzt
aber dem Spiegel die Zähne gezeigt
(lächerlich)
in der Tasche ein ewiggültiges Attest
wer rechnet noch mit dir
dein Glück: das Weiterdrehen
in die abertausendste Neugeburt
der Wiederundwiederundwiederaufgang

Samstag, 27. Oktober 2012

Hinter Stäben

Sind da Stäbe aus Papier, teilen die Welt in überschaubare Rechtecke. Nein, sind da Stäbe aus Wort, schwarzem Wort, teilen das Leben in Böse und Gut. Sind da zwei Dimensionen. Ist da ...?
Wer wünscht sich schon mehr als Verwirrung, als Rätsel und Magie. Ein unversiegbarer Brunnen davon sollte genügen für den Rest deiner Jahre. 
Sitzt du am Fenster und sinnst, ||: zurück und voraus :||, senkst deinen Blick auf die zittrigen Knie. Da ist Bewegung gefangen hinter Stäben aus Buch, aus schwarzgebundenem Buch. Immer noch? Glaubst du an das Fortwähren deiner Gefangenschaft?
Lenkst du den Blick zur Tür, siehst du sie offen. Lenkst du den Blick hinaus, siehst du den Platz des Wärters leer. Lenkst du den Blick um die Ecke, siehst du ... deine eigene Neugier!
Hebst du den unbenutzten Fuß, strengst du dich an, bemühst du dich selbst statt der Ausflucht der Stäbe.
Fragst du dich draußen, ob da jemals ein Verschluss, ob da jemals ein Wärter, ob da jemals ein Befehl ...?
Senkst du den Blick auf den Weg, lässt du dich nieder, legst du dein Ohr auf den pochenden Stein, nimmst du dein Herz in die Hand, bläst den Staub von der Haut, hältst den Muskel ins Licht und verbrennst du die tote Spur. Kostet dich einen einzigen Atemzug nur, einen leisen Entschluss.
Trittst du die Stäbe in den Grund, zerfetzt du das schwarze Tier, nimmst du dir vor, zu lernen:
erstens, wie man auf zwei Fingern pfeift
zweitens, wie man lauthals lacht
drittens, wie man sich sichtbar macht

Freitag, 26. Oktober 2012

Scout Niblett (Feat. Will Oldham): Comfort you

Schöne Version des Van-Morrison-Songs auf Scout Nibletts Album This Fool Can Die Now, von dem ich vor einiger Zeit schon mal den Titel Kiss gepostet hatte.


 


I wanna comfort you
I wanna comfort you
I wanna comfort you
Just let your tears run wild
Like when you were a child

I'll do what I can do
I wanna comfort you
You put the weight on me
You put the weight on me
You put the weight on me

When it gets too much for me
When it gets too much, much too much for me
I'll do the same thing that you do
And I'll put the weight on you
Huh
I'll put the weight on you
I'll put the weight on you

And I'll do the same thing that you do
I'll put the weight on you
I wanna comfort you
I wanna comfort you

And I wanna comfort you
Just let your tears run wild
Like when you were a child
I'll do what I can do
I just wanna comfort you 


Freitag, 19. Oktober 2012

Aufgewacht

Am Morgen augewacht in dem Bewusstsein, etwas gesehen zu haben, das aber im Aufwachen sich nicht halten ließ, sondern verschwand, weder durchs Fenster, noch durch die Tür, noch überhaupt hinaus, sondern zurück, wieder hinein und so weit weg, dass es Rückschlüsse auf eine Tiefe zulässt, die Mut erfordert, wollte man sie ergründen, etwa um das Gesehene wiederzufinden, um das man weiß, ganz sicher weiß, und das schön gewesen sein muss, weil wahr, was sich nicht begründen und beweisen lässt, als allein durch sein Gewesensein, welches wiederum bewiesen ist durch eine Wahrnehmung, die sicher stattgefunden hat, ganz sicher stattgefunden hat, und eine Berührung, die einen nackt zurücklässt, nackt und abgewaschen im Innern, von einer Welle oder einer Hand, die etwas wegwischt oder anhebt, eine Wandlung, sichtbar sich selbst, also war da etwas, das man wahrgenommen hat, und es hat den Blick erwidert, oder vielleicht hat es auch zuerst hingesehen, vielleicht war es überhaupt nur ein Schauen, mitten in den Schlaf, das die Augen weckte, die sich dann nach innen aufschlugen und sahen, aber nichts halten konnten von dem, was sie sahen und die nun zurückgelassen sind mit etwas, das da war, aber nicht beweisbar ist, und vielleicht ist dieses Wissen nur zu halten in sich selbst und wahr abseits jeglichen Begriffs und bedeutet Loslassen vor allem den Verzicht auf Verstehenwollen und Verstandenwerdenwollen.

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Ursula Ziebarth: Gelesene Kinder

Ein Plädoyer für das Lesen von Romanen über Kinder, für das Lesen von Romanen, für das Lesen. (abseits von sogenannter "Fach"literatur)

Ich besitze ein einziges Buch von Ursula Ziebarth, es ist längst nur noch antiquarisch zu bekommen: Ein Kinderspiegel, 1979 bei Piper erschienen. "Ein Buch der Freundschaft zu Kindern, ein Schatz an Geschichten, Bildern, Träumen und, weil wir alle Kinder waren, ein Buch der Freundschaft zu den Menschen." (aus dem Klappentext) Ich habe bereits einmal daraus zitiert, hier.

Sollte ich, um die Aufmerksamkeit für diese bemerkenswerte Frau zu wecken, auf ihren Briefwechsel mit Gottfried Benn hinweisen? Würde man an dieser Stelle dann hellhörig werden, höbe das Wissen um die Bekanntschaft mit dem berühmten Dichter sie in ihrer Bedeutung? Ich glaube nicht an Werbung. An deren Macht natürlich schon, aber nicht an ihre Bedeutung für die Beförderung des Guten, an eine nachhaltige Wirkung auf das Weltwesen. Ich glaube an die Kraft von Graswurzeln.

In dem Text, auf den ich mich beziehe, geht es, wie der Titel schon sagt, um "Gelesene Kinder". Ziebarth schreibt:
"Auch gelesene Kinder sind unsere Kinder, wir sehen ihnen zu ohne daß sie es bemerken, begleiten sie ohne zu stören oder sie zu beschämen. [...]
Man versteht sich besser auf Kinder, nachdem einem geschriebene begegnet sind, [...], was ein paar Klugköpfe sicher sophistisch bestreiten werden, weil diese Kinder ja nur auf dem Papier existieren und wer sich mit ihnen beschäftigt, angeblich noch lange nichts von lebendigen Kindern wisse, ja, diesen durch Flucht in die Lektüre womöglich sogar ausweiche, sich also von der Realität entferne.
Auch Literatur ist eine Realität, schließlich dichten, schreiben, lesen Menschen spätestens seit dem Gilgamesch-Epos, und sie werden schon wissen, warum sie so beharrlich Leben schildern und geschildertes Leben in sich aufnehmen.
[...]
Der Verfasser von Oliver Twist und David Copperfield hat mehr für Kinder bewirkt als so mancher Fachliteraturverfertiger der pädagogischen Disziplin in seiner Unfähigkeit, Empfindungen für Kinder zu wecken, weil von Kindern in der Fachsprache nicht anders als von Objekten gesprochen wird, die es zu beobachten, zu untersuchen, zu beurteilen gilt.
[...]
Das Kind im Mittelpunkt oder auch nur am Rande eines Kunstwerkes aus Sätzen weckt, was Überlegungungen übertrifft: Zuneigung, anwendbare, auf lebendige Kinder anwendbare, nicht begrenzbar auszudehnende Zuneigung zu allen Kindern dieser Welt in ihrer Wehrlosigkeit.
Die großen Fürsprecher der Kinder sind nicht die Erfinder pädagogischer Instrumentarien, nicht die Empfehler angeblich optimaler Verhaltensweisen, sonder die uns zum Mitempfinden hinreißenden Darsteller kindlichen Lebens, die uns zwingen, sie zu adoptieren und die Substanz an Liebe, die ihre wörtliche Existenz in uns Lesern sich ansammeln läßt, zu verwenden auf jedes Kind, das unseren Weg kreuzt. Sie, die Kunstmacher, sind die Prediger in der Wüste."

Ziebarth nennt und beschreibt in ihrem Essay einige literarische Kinderfiguren*, mir selbst fallen weitere ein, ich kenne die Wirkung solcher Erzählungen, sie ist meines Erachtens nicht hoch genug zu schätzen. (Im Übrigen betrifft das nicht nur die Schilderung kindlicher, sondern allgemein menschlicher Schicksale.) In der Buchhandlung stehe ich immer mal wieder vor der Situation, dass ein Erziehungsratgeber gesucht wird (aus einer schier unglaublichen Masse, von der nur ein Bruchteil als brauchbar zu bezeichnen ist) und ich am liebsten empfehlen würde, stattdessen Romane zu lesen, Geschichten über Kinder, keine Appelle, sondern reine Schilderungen, aus den von Ursula Ziebarth genannten Gründen. Manchmal tue ich's .

* Folgende Beispiele für "Geschriebene Kinder" erwähnt Ursula Ziebarth in ihrem Text:
- Rudyard Kipling, Kim
- Jules Romain, Am 6. Oktober
- Jules Renard, Poil de carotte
- Robert Walser, Der Gehülfe
- Martin Anderson-Nexö, Ditte Menschenkind
- Charles Dickens, Oliver Twist und David Copperfield
- Bernward Vesper, Die Reise

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Herbst

Herbst. Die Lust zu streunen unterm Laubteppich begraben, doch nur für die Voyeure, nicht fürs Selbst, denn das will weiter, immer weiter und bahnt den Weg im Stillen. Es gräbt sich tief hinein in einen Tunnel aus noch sommerwarmer Luft und fahlem Braun, aus praller Frucht und Fäulnis. Es wirft sich rücklings ins dampfende Blut und suhlt sich im Erinnern, legt dort die Hände in den Schoß und schöpft aus seiner eigenen Brandung. Aus seinen Wimpern rieselt Salz, mit dem reibt es die wunden Füße ein. Die werden bald schon wieder Schritte setzen in die Welt, das hofft es, aber jetzt, jetzt steht das Haus bereit, schluckt jeglichen Impuls und birgt in seinen Mauern einen Kosmos aus Erlebtem. Dies wird zur Haltbarmachung auf Papier gesetzt, in Ohren gegossen, zu Teilen fest in Schweigen gewickelt. All die gesammelten Schätze ---
Herbst. Die Lust zu streunen ruht in Gläsern auf dem höchsten Bord, und ein ketzerischer Gedanke entlässt sie Nacht für Nacht mit einem leisen Plopp schon vor der Zeit.

Freitag, 12. Oktober 2012

Da ist ...

... ausnahmsweise mal Nichts. Oft herbeigesehnt, und nun weiß ich nichts damit anzufangen. Selbst das will also gelernt sein.  
Bin dann mal Nichts üben. Werde vielleicht nichts darüber (zu) berichten (haben). Aber das macht sicher nichts.

Dienstag, 9. Oktober 2012

Lose Naht

Einzigarten 
haltbar vernäht
durch losen
Zwischenraum
stolpern sie sich
in die Arme
ungezählte Zeit
ihr Hingabereich
im Rücken der geheime
einzelbewohnte Ort
bis zuletzt

Sonntag, 7. Oktober 2012

Trakl lesen oder Es kichert unterm Verfall

Herbst, lose Zeit
Licht faltet Schatten
Wind atmet Flug
Wald säumt(*) das Streben
das Sterben

Nichts pulst so schön wie das Fremde
neidlos besehn

Einmal die Hand in ein Raunen getaucht
wirst du gepflückt
Zeit, loser Frühling
dort welkt dein Ach
und/oder/aber
ob du's glaubst oder nicht:

Es kichert unterm Verfall(**)


Ich empfehle, den Blick auszuwerfen und ihn neidlos aufs Fremde zu heften:

(*) das wunderbare Lyrikblog Waldsaum der Fremdlingin
(**) Georg Trakl im Allgemeinen und sein Gedicht Verfall im Besonderen

Freitag, 5. Oktober 2012

Carol Birch: Der Atem der Welt

"Ich wurde zwei mal geboren. Das erste Mal in einem Zimmer aus Holz, das über das schwarze Wasser der Themse ragte; das zweite Mal acht Jahre später auf dem Highway, als der Tiger mich in sein Maul nahm und eigentlich alles erst richtig begann."

So muss ein Buch anfangen! Nicht jedes natürlich, das wäre langweilig, immer nur Abenteuerromane, immer nur viktorianisches England, immer nur Meer und Schiffsreise, immer nur Geschichte einer Freundschaft - das geht nicht, das genügt nicht. Nein? Warum ziehen mich solche Bücher so magisch an? Wohnt ihnen nicht alles inne, was ein Leben von seinem Anfang bis zu seinem Ende bestimmt? Warum ist es mir völlig gleich, ob sie von einem Mann oder einer Frau geschrieben sind, ob die Protagonisten/ Helden männlich oder weiblich sind? Warum kann ich mich mit ihnen geschlechtsunabhängig identifizieren? Dass es so ist, weiß ich, und das ist es seit jeher. Aber warum? Und warum frage ich mich das, ist es von Bedeutung?
Ich sammle noch. Keine Antworten, sondern Fragen, stoße ich auf die richtigen, ergeben sich erstere sowieso aus letzteren, mühelos.
Ich greife hier nicht an, sondern auf und bewege mich in einer Gültigkeit (und auf eine solche zu), die keine allgemeine ist (vermutlich), aber Teil einer allgemeinen Gültigkeit, wie ich selbst Teil einer Allgemeinheit bin. Okay, jetzt wird's uninteressant oder undeutlich (für meine Leser, nicht für mich), ich schweife schweigend weiter.

Zurück zum Buch: Ich lese es gerade und bin begeistert. Für alle, die das viktorianische England lieben, das Meer, die Seefahrt und die Gefahr, für die Liebhaber guter (Abenteuer)Geschichten, für die Leser von Antonia S. Byatt ebenso wie die von Charles Dickens und Herman Melville:


oder, wer es lieber im Original mag:

Jamrach's Menagerie

Donnerstag, 4. Oktober 2012

Geht sie

Geht sie statt da hin 
dort hin
folgt sie statt dem Weg
ihren Füßen
glaubt sie statt ans Richtige
ans Mögliche

Dienstag, 2. Oktober 2012

das Nest

Bezieht sie das Bett
putzt sie das Fenster
wischt sie den Boden
lüftet sie den Schrank
leert sie den Papierkorb
gießt sie die Blumen
bereitet sie das Zimmer
gibt sie das Nest nicht auf